Günstigkeitsprinzip im Arbeitsrecht: Bedeutung und Anwendung
Was ist das Günstigkeitsprinzip?
Das Günstigkeitsprinzip ist ein Grundsatz im Arbeitsrecht, der besagt, dass bei mehreren widersprüchlichen Regelungen diejenige zugunsten des Arbeitnehmers anzuwenden ist, die für ihn die besseren Bedingungen bietet. Es schützt Arbeitnehmer vor Verschlechterungen ihrer Arbeitsbedingungen, insbesondere wenn Regelungen im Arbeitsvertrag, Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung voneinander abweichen. Damit sorgt das Günstigkeitsprinzip dafür, dass die für den Arbeitnehmer vorteilhafteste Regelung zur Anwendung kommt.
Anwendungsbereiche des Günstigkeitsprinzips
Das Günstigkeitsprinzip greift in verschiedenen Bereichen des Arbeitsrechts, insbesondere wenn es zu Abweichungen oder Widersprüchen zwischen:
- dem Arbeitsvertrag und einem Tarifvertrag,
- dem Arbeitsvertrag und einer Betriebsvereinbarung,
- einem Tarifvertrag und einer Betriebsvereinbarung
In solchen Fällen wird die Regelung herangezogen, die für den Arbeitnehmer die günstigeren Bedingungen bietet. Dies kann etwa bei der Vergütung, der Arbeitszeit, dem Urlaubsanspruch oder anderen arbeitsvertraglichen Bedingungen relevant sein.
1. Günstigkeitsprinzip bei Tarifverträgen
Wenn ein Tarifvertrag und ein Arbeitsvertrag unterschiedliche Regelungen enthalten, die sich auf denselben Sachverhalt beziehen, wird das Günstigkeitsprinzip angewendet. Der Arbeitnehmer kann sich auf die Regelung berufen, die für ihn vorteilhafter ist. Beispiel: Ein Tarifvertrag sieht einen Urlaubsanspruch von 28 Tagen vor, während der Arbeitsvertrag 30 Tage gewährt. In diesem Fall gilt die im Arbeitsvertrag festgelegte Regelung, da sie für den Arbeitnehmer günstiger ist.
2. Günstigkeitsprinzip bei Betriebsvereinbarungen
Ähnlich verhält es sich bei Widersprüchen zwischen einer Betriebsvereinbarung und einem Arbeitsvertrag. Auch hier wird zugunsten des Arbeitnehmers entschieden. Sollte eine Betriebsvereinbarung beispielsweise eine Arbeitszeit von 40 Stunden pro Woche festlegen, der Arbeitsvertrag jedoch eine 38-Stunden-Woche vorsehen, gilt die arbeitsvertragliche Regelung, da sie günstiger für den Arbeitnehmer ist.
Voraussetzungen für die Anwendung des Günstigkeitsprinzips
Das Günstigkeitsprinzip findet nur dann Anwendung, wenn die Regelungen vergleichbar sind und den gleichen Sachverhalt betreffen. Außerdem muss die günstigere Regelung tatsächlich einen Vorteil für den Arbeitnehmer darstellen. Dabei wird zwischen verschiedenen Arten von Regelungen unterschieden:
1. Vergleichbarkeit der Regelungen
Für die Anwendung des Günstigkeitsprinzips müssen die betroffenen Regelungen denselben Sachverhalt betreffen. So können beispielsweise Arbeitszeitregelungen nicht mit Urlaubsregelungen verglichen werden. Ein Vorteil in einem Bereich (z. B. mehr Urlaub) kann nicht durch einen Nachteil in einem anderen Bereich (z. B. längere Arbeitszeiten) ausgeglichen werden.
2. Individuelle Begünstigung
Die Anwendung des Günstigkeitsprinzips setzt voraus, dass die abweichende Regelung tatsächlich zu einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen für den einzelnen Arbeitnehmer führt. Dabei wird auf die konkreten Umstände des Arbeitsverhältnisses abgestellt. Ein Vorteil für einen Arbeitnehmer kann für einen anderen Arbeitnehmer, der in einer anderen Position arbeitet oder andere Arbeitszeiten hat, möglicherweise keinen Vorteil darstellen.
Grenzen des Günstigkeitsprinzips
Das Günstigkeitsprinzip hat jedoch auch Grenzen. Es gibt bestimmte Regelungen, bei denen das Prinzip nicht angewendet werden kann:
1. Zwingendes Recht
Zwingende gesetzliche Vorschriften oder tarifvertragliche Mindeststandards können durch das Günstigkeitsprinzip nicht außer Kraft gesetzt werden. Solche Regelungen müssen auch dann eingehalten werden, wenn sie für den Arbeitnehmer weniger vorteilhaft erscheinen. Beispielsweise können Arbeitsschutzvorschriften nicht zugunsten des Arbeitnehmers abgeändert werden, da sie zwingend gelten.
2. Kollektivrechtliche Schranken
In Bereichen, die durch Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen geregelt werden, kann das Günstigkeitsprinzip eingeschränkt sein. Ein Tarifvertrag, der für alle Arbeitnehmer verbindlich ist, kann durch individuelle Absprachen im Arbeitsvertrag nur dann abweichend gestaltet werden, wenn die Regelungen des Arbeitsvertrags tatsächlich günstiger für den Arbeitnehmer sind. Es dürfen keine Vereinbarungen getroffen werden, die den Schutz und die Rechte der Tarifvertragsparteien unterlaufen.
Das Günstigkeitsprinzip in der Praxis
In der Praxis spielt das Günstigkeitsprinzip vor allem dann eine Rolle, wenn Arbeitnehmer auf bestimmte Regelungen in ihrem Arbeitsvertrag pochen, obwohl tarifvertragliche oder betriebliche Regelungen abweichende Bestimmungen vorsehen. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollten daher bei der Gestaltung von Arbeitsverträgen und Betriebsvereinbarungen stets darauf achten, ob und wie das Günstigkeitsprinzip zur Anwendung kommen könnte.
Beispiel für die Anwendung des Günstigkeitsprinzips
Ein Arbeitnehmer hat im Arbeitsvertrag einen Urlaubsanspruch von 30 Tagen vereinbart. Der Tarifvertrag, der ebenfalls für das Arbeitsverhältnis gilt, sieht jedoch nur 28 Tage Urlaub vor. Da der Arbeitsvertrag die günstigere Regelung für den Arbeitnehmer enthält, gilt in diesem Fall der höhere Urlaubsanspruch aus dem Arbeitsvertrag. Der Arbeitnehmer kann sich also auf 30 Urlaubstage berufen.
Beispiel für die Grenze des Günstigkeitsprinzips
Ein Arbeitgeber vereinbart mit einem Arbeitnehmer, dass dieser 45 Stunden pro Woche arbeiten soll, obwohl der geltende Tarifvertrag nur eine wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden erlaubt. In diesem Fall kann das Günstigkeitsprinzip nicht angewendet werden, da die tarifvertragliche Regelung zwingend ist und der Arbeitnehmer durch die längere Arbeitszeit unzulässig benachteiligt würde.
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