10 Jahre nach „Emmely“ – Auswirkung auf Praxis und Abfindung.

Auswirkungen auf die Abfindung und arbeitsrechtliche Praxis.

2010 entschied das BAG im Fall „Emmely“ zugunsten der angestellten Kassiererin Barbara Emme, dass die wegen der Veruntreuung von 2 Pfandbons im Wert von insgesamt EUR 1,30 ausgesprochene außerordentliche fristlose Kündigung wegen Verstoßes gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzips unwirksam sei.

Seinerzeit hatte das Bundessarbeitsgericht über folgenden Sachverhalt im Fall „Emmely“ zu entscheiden:

Die Klägerin war seit April 1977 bei der Beklagten als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt. Am 12. Januar 2008 wurden in ihrer Filiale zwei Leergutbons im Wert von 48 und 82 Cent aufgefunden. Der Filialleiter übergab die Bons der Klägerin zur Aufbewahrung im Kassenbüro, falls sich ein Kunde noch melden sollte. Sie lagen dort sichtbar und offen zugänglich. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen reichte die Klägerin die beiden Bons bei einem privaten Einkauf zehn Tage später bei der kassierenden Kollegin ein. Diese nahm sie entgegen, obwohl sie, anders als es aufgrund einer Anweisung erforderlich gewesen wäre, vom Filialleiter nicht abgezeichnet worden waren. Im Prozess hat die Klägerin bestritten, die Bons an sich genommen zu haben. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis ungeachtet des Widerspruchs des Betriebsrats wegen eines dringenden Tatverdachts fristlos, hilfsweise fristgemäß.

Folgende Maßstäbe legte das BAG seiner Entscheidung zugrunde:

Ein vorsätzlicher Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine Vertragspflichten kann eine fristlose Kündigung auch dann rechtfertigen, wenn der damit einhergehende wirtschaftliche Schaden gering ist. Umgekehrt ist nicht jede unmittelbar gegen die Vermögensinteressen des Arbeitgebers gerichtete Vertragspflichtverletzung ohne Weiteres ein Kündigungsgrund. Maßgeblich ist § 626 Abs. 1 BGB. Danach kann eine fristlose Kündigung nur aus „wichtigem Grund“ erfolgen. Das Gesetz kennt in diesem Zusammenhang keine „absoluten Kündigungsgründe“. Ob ein „wichtiger Grund“ vorliegt, muss vielmehr nach dem Gesetz „unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile“ beurteilt werden. Dabei sind alle für das jeweilige Vertragsverhältnis in Betracht kommenden Gesichtspunkte zu bewerten. Dazu gehören das gegebene Maß der Beschädigung des Vertrauens, das Interesse an der korrekten Handhabung der Geschäftsanweisungen, das vom Arbeitnehmer in der Zeit seiner unbeanstandeten Beschäftigung erworbene „Vertrauenskapital“ ebenso wie die wirtschaftlichen Folgen des Vertragsverstoßes; eine abschließende Aufzählung ist nicht möglich. Insgesamt muss sich die sofortige Auflösung des Arbeitsverhältnisses als angemessene Reaktion auf die eingetretene Vertragsstörung erweisen. Unter Umständen kann eine Abmahnung als milderes Mittel zur Wiederherstellung des für die Fortsetzung des Vertrags notwendigen Vertrauens in die Redlichkeit des Arbeitnehmers ausreichen.

(Quelle: Bundesarbeitsgericht Pressemitteilung Nr. 42/10; zum Urteil vom 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09)

Demnach war die Kündigung unwirksam. Eine Abmahnung wäre im Rahmen der Abwägung als milderes Mittel gegenüber der Kündigung vorrangig gewesen.

Großzügigkeit bei Veruntreuungsdelikten unter 100,- EUR.

10 Jahre nach der Entscheidung führte der Fall „Emmely“ – nach eigener Erfahrung –  zu einer im Einzelfall beeindruckenden Großzügigkeit bei Veruntreuungsdelikten unter 100,- EUR. Sei es die mitgenommene Euro-Palette oder das vom Frühstücks Buffet regelmäßig großzügig eingepackte zweite Frühstück für Zuhause: in diesen Fällen stellten die Arbeitsrichter/innen unmissverständlich klar, dass sie die ausgesprochenen Kündigungen im Rahmen einer Gesamtabwägung für unwirksam halten würden, als milderes Mittel eine Abmahnung vorrangig gewesen sei. In allen Fällen endeten die Verfahren durch großzügige Vergleiche. Der drohende Gesichtsverlust für den Arbeitgeber, wenn der Arbeitnehmer nach einer unwirksamen Kündigung wieder in den Betrieb zurückkommt, wiegt so schwer, dass in der Praxis teure Abfindungszahlungen an den Arbeitnehmer fließen, um das Kündigungsschutzverfahren zu einem Ende zu bringen.

Auch wenn das BAG 2010 lediglich an die Anwendung der Verhältnismäßigkeitsprüfung bei einer jeden Kündigung erinnerte, schlugen damals die Wellen in der Fachliteratur und der Presse hoch und veränderten doch nachhaltig die Rechtsprechung der unteren Arbeitsgerichte bei „Bagatelldelikten“ nachhaltig.

Der aufmerksame Anwalt hat sich darauf eingestellt, dass außerordentliche Kündigungen wegen Vermögensdelikten im Einzelfall sehr fehleranfällig sein können und vorher eine Abmahnung ausgesprochen werden muss.

TIPP

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